TIERE ALS BEGLEITER


Tiergestützte Therapie – Neue Wege in der Rehabilitation
Anette Bull, 2004
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 Wie, Was, Wer...
 Ziele der tiergestützten Arbeit
 Beispiele aus der Praxis
 Das Team
  Anette Bull
  Diplom-Sozialpädagogin
 
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Erik bei der Aufführung in der Dessauer Schule

Anlässlich der Fachtagung des Bundesverbandes der Unfallkassen in Greifswald 2003 zum Thema «Integration schwer verletzter Kinder und Jugendlicher» wurde ein Vortrag von dem querschnittgelähmten Herrn Prof. Christians, Denver, Colorado, aus der Sicht eines Betroffenen gehalten. In seinen Ausführungen erwähnte er nebenbei auch Therapieerfolge, die durch den Umgang mit seinem eigenen Hund eingetreten sind.

Diese Erfahrungen griff die Unfallkasse Sachsen-Anhalt auf. Zunächst wurden die Chefärzte der einschlägigen Reha-Kliniken zu diesem Thema befragt. Da sowohl die Chefärzte vom «Friedehorst» in Bremen, der Fachklinik Hohenstücken (Brandenburg) und der Klinik in Kreischa (Sachsen) mögliche positive Aspekte sahen und auch die ehemalige Chefärztin der Rehaklinik «Friedehorst», Frau Dr. Ritz, eine positive Auswirkung annahm, wurde versucht ein Forschungsprojekt aufzubauen. Da ein solches Forschungsprojekt über die Leistungsfähigkeit der Unfallkasse hinausgeht, wurde in Zusammenarbeit mit Herrn Chefarzt Dr. Köhler von der Fachklinik Hohenstücken von März bis Juni 2004 ein Modellprojekt zur tiergestützten Therapie mit Hunden und Katzen, als erste Studie, durchgeführt. Tiergestützte Therapie und Pädagogik sind keine völlig neuen Arbeitsweisen – im Gegenteil: in den letzten Jahren ist das öffentliche und fachliche Bewusstsein um diese Möglichkeit der Unterstützung von Heilungs- und Helferprozessen so bekannt geworden, dass es mittlerweile auch Zusatzausbildungen für Fachkräfte gibt.

Neu an diesem Modellprojekt aber ist, dass es von der Unfallkasse ausging und sie es als eigene Disziplin finanzierte, ohne den Finanzierungs-Umweg über die «anerkannten» Therapieformen wie Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie oder Psychotherapie zu gehen. In diesen Disziplinen werden in ganz Deutschland Tiere als «Arbeitsmittel» eingesetzt, manchmal mit Wissen der Kostenträger, oft genug ohne. Der Grund: es gibt keinerlei Aufschlag für den Einsatz der Tiere und meist haben die Therapeuten auch keine Gewissheit hinsichtlich der Akzeptanz ihrer Arbeitsform – sie arbeiten also in einer Art Grauzone.

Hier wurde nun die Maßnahme als eigene Therapieform durchgeführt und eigenverantwortlich von der durchführenden Fachkraft abgerechnet. Austragungsort des Projektes war die Fachklinik Hohenstücken, eine Kinderund Jugendrehabilitationseinrichtung, die den Patienten z. B. auch Hippotherapie und Streicheltiere wie Kaninchen und Ziegen bietet. Für die Kooperationsbereitschaft der Klinik an dieser Stelle noch einmal der Dank von allen Beteiligten.

Wie, Was, Wer...

Die Fragestellungen lauteten im Groben: Wie kann tiergestützte Therapie den gesamten Reha-Prozess beeinflussen? Was kann der regelmäßige Kontakt des Patienten mit dem «tierischmenschlichen» Therapieteam konkret bewirken? Welche Standards für die Anforderungen an solch ein Team, aber auch an das gesamte Setting sollten mindestens erfüllt werden, um diese Arbeit entsprechend «wirksam» zu gestalten?

Nun ist die Wirksamkeitsforschung ein schwieriges Feld. Vor allem, wenn man Medizinern oder Geldgebern etwas beweisen soll... Da es sich hier um ein kleines, wegweisendes Modellprojekt und vor allem um eine Hilfemaßnahme für vier Patienten handelte und keine größer angelegte Unterstützung für eine aufwändige Forschung zur Verfügung stand, entschieden wir uns für Videoaufnahmen, schriftliche Dokumentationen der Sitzungen und Einzelinterviews im Umfeld der Patienten.

Damit stehen nun viele Stunden an Material zur Verfügung, das auf unterschiedlichste Fragen hin ausgewertet werden kann. In den nächsten Monaten soll daraus eine Dokumentation entstehen, die dann zusammen mit einem Vortrag den Einblick in die Praxis und in die Ergebnisse vermittelt.

Ziele der tiergestützten Arbeit

Stephanie aufmerksam

Das Wirkungsspektrum tiergestützter Aktivitäten ist breit, wie man in der Literatur und entsprechenden Internetseiten nachlesen kann. Das Besondere an dieser Arbeit ist die Aufhebung der üblichen krank/gesund Gegenüberstellung. Die Patienten «behandeln» gleichsam mit mir zusammen das Tier. Ob es dabei um kleine Übungen geht, um die richtige Lagerung des Hundes, damit man mit den Händen vom Rollstuhl aus gut heran kommt, um ein bestimmtes Spiel oder einfach nur Streicheleinheiten – die Aktionen werden so ausgerichtet, dass sie zur Situation, zum Gemütszustand und zu den aktuellen Bewegungsspielräumen beider passen. Gemeinsam arbeiten wir auf ein Ziel hin, das irgendwie mit dem Tier zu tun hat. Die Gesprächsführung während der Arbeit ist klientenzentriert ausgerichtet und doch lenke ich den Focus sehr oft auf die Fähigkeiten, Eigenheiten, Bedürfnisse sowie die Handlungen und die (vermeintlichen) Gefühle des Tieres. Die verbale Begleitung der Arbeit ist mindestens so wichtig wie die Lenkbarkeit der Tiere.

In unseren Fällen – drei Kindern mit schweren Schädel-Hirn-Traumata und einem querschnittgelähmten jungen Mann – habe ich als übergeordnete Ziele formuliert:

  • Erhöhung der Lebensqualität
  • Anregung von Kommunikation, Sprache oder Zeichen
  • Anregung selbstmotivierten Handelns/Lernens
  • Anregung und Verbesserung von Bewegungsabläufen und Koordination
  • Emotionale Stabilisierung
  • Verbesserung des Selbstwertgefühls

Für jeden Einzelnen kamen natürlich noch spezifische Ziele hinzu. Vorab lässt sich bereits sagen: es ist schon ersichtlich geworden, dass alle Patienten auf ihre eigene Art von den Stunden profitierten.

Beispiele aus der Praxis

Beispiel Stephanie

Was ist denn nun messbar an Heilung und Entwicklung? Vor allem bei Patienten, die sich selbst kaum bewegen, geschweige denn äußern können? Ist es ein Lächeln des Patienten oder das schnellere Antworten mit Fingerzeichen? Oder die Nahrungsmenge, die nach den Sitzungen eingenommen wird? Für die Mutter und für mich war es überzeugend genug zu sehen, wie lange Stephanie wach und aufmerksam war, wie gut sie ihre Arme entspannen konnte, wie viel öfter sie in den letzten Wochen lautierte. Für die Tiernärrin Stephanie waren nach Aussage der Mutter die Stunden mit uns Highlights der Woche. Für beide – denn die Gespräche mit der Mutter waren durchaus auch ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit.

Beispiel Andreas

Andreas mit Frida

Andreas hatte den lang gehegten Wunsch nach einem eigenen Hund aufgrund des Unfalls schon abgeschrieben, seine Katze war kurz vor dem Unfall verstorben. Mein Hund Frida hat ihn zum Staunen gebracht. Frida ist als Therapiebegleithund ausgebildet und hört daher sehr gut. Auf offene und freudige Art zeigt sie ihre Menschenfreundlichkeit. Sie lässt sich z. B. auf einem unterfahrbaren Tisch völlig entspannt lange streicheln als auch gut zum Spielen und Toben animieren. Für Andreas war Frida sozusagen ein Modellhund für einen späteren Behindertenbegleithund, er hatte noch nie so einen «guten» Hund erlebt, nur Dorfhunde oder scharfe Hunde bei der Polizei. Er ist nun der Überzeugung, dass er es schaffen kann, einen Behindertenbegleithund zu führen und sich damit seinen Kindertraum vom eigenen Hund doch noch zu erfüllen. Wenn man ihn fragt, wozu er den Hund «brauche», sagt er: «Ich will ja eigentlich so viel wie möglich selber schaffen, der soll einfach für mich da sein, einfach bei mir sein, wenn er dann ab und zu was aufhebt, bin ich auch froh, aber vor allem will ich einen Freund an meiner Seite haben.» Andreas profitierte von der entspannten Atmosphäre und konnte sich in Anwesenheit der Tiere auch gut auf tiefgehende Gespräche mit mir einlassen, was zur Verarbeitung seiner Situation beitrug. Dass er bei unseren unterschiedlichen Aktivitäten (füttern, spielen, werfen, streicheln, Dinge aufheben...) ganz selbstverständlich u.a. die verschiedenen Funktionen seiner verbliebenen Arm- und Handmuskulatur, später seiner operierten Funktionshand und allgemein den Gleichgewichtssinn trainierte war wichtig und förderlich.

Beispiel Erik

Erik hat nach seinem Unfall schon so vieles wieder gelernt. Trotzdem kommt er mit seiner neuen Situation nicht sehr gut zurecht. Vor allem möchte er nicht für dumm gehalten werden, auch wenn er sehr langsam spricht. In unseren Stunden war er immer mit vollem Einsatz dabei. Mit Frida und Merlin übte er viele der Bewegungsfunktionen, zu denen er sonst wenig Motivation hatte. Unsere den Tier-Kontakt begleitenden «philosophischen» Gespräche über Macht und Ohnmacht, Hilfen, Ängste und Abhängigkeiten waren für den 12-Jährigen eine wichtige Hilfe auf seinem Weg. Für den Abschied aus seiner fast zweijährigen Reha-Zeit übten wir mit Frida einen Hindernisparcours ein, den der eingeschworene Asterixund Obelix-Fan als «Erix und Fridala» in der Klinik vor Personal, anderen Eltern und Patienten sowie in seiner neuen Schule in Dessau aufführte.

Das Team

Anette Bull mit Frida, Amelie und Filou bei Stephanie

Mein Studium an der TU Berlin habe ich bereits auf die therapeutische und pädagogische Arbeit mit Tieren hin ausgerichtet. Schwerpunkte legte ich dabei auf die klientenzentrierte Gesprächsführung und Methoden in der Pädagogik. Die Praxiserfahrungen kommen aus der Kinder- und Jugendfarmpädagogik (während des Studiums) und den vielfältigen Einsätzen während meiner Zeit als Mitarbeiterin eines gemeinnützigen Vereins. Dort wie auch als Selbstständige gebe ich seit 2000 Schulungen und Seminare, Vorträge und Beratungen für Laien, Profis und verschiedene Institutionen zur Tiergestützten Therapie und Pädagogik. In den letzten Jahren lag mein Schwerpunkt auf der Arbeit mit Menschen in Pflegeeinrichtungen und mit Kindern in Regel- und Sondereinrichtungen, Schulen, Kitas, Kinderheimen. Seit 2004 bin ich selbständig.

Informationen über meine Tiere und mich erhalten Sie unter www.tiere-als-begleiter.de.

(Artikel erschienen in: Sicherheitsforum, Mitteilungsblatt der Unfallkasse Sachsen-Anhalt, 3/2004, S. 20-22.)